Gute Führung in öffentlicher Hand?

Portal WissenPortalWissen, das Forschungsmagazin der Universität Potsdam, berichtet in der aktuellen Ausgabe auf vier Seiten über die Ergebnisse meiner Dissertation.

Der Text ist, wie ich finde, sehr gut geschrieben und fasst die Ergebnisse und deren Relevanz sehr gut zusammen. Mit freundlicher Genehmigung des Autors Matthias Zimmermann drucke ich den Text hier nach. Das Original kann hier gelesen werden.


Ministerien, Landratsämter und Rathäuser – nirgendwo dürfte man sie weniger erwarten: charismatische Chefs, die ihre Mitarbeiter mit geschickter Hand führen, motivieren, zu Höchstleistungen inspirieren und gekonnt dazu bringen, sich bis in die Haarspitzen mit ihrem Arbeitgeber zu identifizieren. Stattdessen: Dienst nach Vorschrift von der Chefetage bis zum Sachbearbeiter. Aber stimmt das überhaupt? Der Verwaltungswissenschaftler Dr. Dominik Vogel wollte es genauer wissen und untersuchte das Führungsverhalten in öffentlichen Verwaltungen. Die Ergebnisse überraschten nicht nur ihn.

„Man ist immer davon ausgegangen, dass Führung im öffentlichen Sektor so gut wie keine Rolle spielt, weil die Dinge dort ganz anders funktionieren“, sagt Dominik Vogel, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Public und Nonprofit Management zum Thema promovierte. „Hierarchische Strukturen, zahlreiche Gesetze und Regelungen, die Arbeitsabläufe und Aufgaben bestimmen, unkündbare Beschäftigungsverhältnisse, andere Mitbestimmungsformen, etwa Personalräte – all das sorgt dafür, dass es weniger auf den Einzelnen ankommt als auf den reibungslosen Ablauf der Prozesse. Das macht natürlich auch Führungsarbeit schwieriger.“ Gleichwohl seien diese Annahmen bislang wissenschaftlich nicht belegt. Entsprechende Untersuchungen fehlten. „Wie es wirklich ist, darüber wussten wir bislang wenig bis gar nichts.“

Das wollte Vogel ändern. Schon in seiner Masterarbeit hatte er sich mit der Motivation von Mitarbeitern im Öffentlichen Dienst beschäftigt. Da war der Weg zur „anderen Seite“, dem Führungsverhalten, nicht weit. Seine „Vorgeschichte“ half ihm auch dabei, Institutionen ausfindig zu machen, die bereit waren, an der Untersuchung teilzunehmen. Keine Selbstverständlichkeit, wie Dominik Vogel erklärt: „Führung ist ein heikles Thema, da bleiben viele Türen zu. Es gibt grundsätzlich Interesse, aber auch Angst vor der möglicherweise ernüchternden Realität.“ Glücklicherweise konnte der Forscher an bestehende Kontakte – und Vertrauen – anknüpfen. Zudem bot er den Projektpartnern an, ihnen nach Abschluss der Studie ihre individuellen Ergebnisse vorzustellen und Verbesserungspotenziale auszuloten. „Eine echte Win-Win-Situation“, findet Vogel. Zwei Landesbehörden und ein Landkreis wirkten letztlich an dem Vorhaben mit.

Aber wie „misst“ man eigentlich Führungsverhalten? „In der Regel mithilfe von Fragebögen“, erklärt der Wissenschaftler. Es gebe zwar auch Beobachtungsstudien, die reichhaltige Daten lieferten. Doch diese seien nur schwer auszuwerten. Das Gleiche gelte für experimentelle Untersuchungen, die mit Rollenspielen arbeiteten. Möglich seien aber auch Feldstudien, die evaluieren könnten, welche Maßnahmen Führungsverhalten tatsächlich verbessern. „Im Kern geht es darum herauszufinden, mit welchen Mitteln, welchem Verhalten, es Führungskräften gelingt, ihre Mitarbeiter zu motivieren, ein gemeinsames Ziel – das der Organisation – zu erreichen.“ Dafür sei man vor allem auf Befragungen angewiesen – und zwar von Chefs und Angestellten. Insgesamt haben 64 Führungskräfte der unteren Ebenen und 464 diesen unterstellte Mitarbeiter die Fragebögen ausgefüllt. Die Erhebung erfolgte anonym, um den strengen Datenschutzanforderungen zu entsprechen, aber auch, um möglichen Ängsten – etwa aufseiten der Führungskräfte vor einem schlechten „Zeugnis“ oder bei Angestellten vor negativen Folgen nach öffentlicher Kritik – vorzubeugen. Zugleich arbeitete Dominik Vogel mit einem Codesystem, um die Aussagen einander zuordnen und kombiniert auswerten zu können.

Methodischer Ausgangspunkt der Untersuchung war das Führungsverhalten in Privatunternehmen, das schon seit längerer Zeit im Fokus der Wissenschaft steht. „Ich habe mich an ein Konzept angelehnt, das im Privatsektor etabliert ist und sich ‚taxonomy of effective leadership behavior‘ nennt“, erklärt der Forscher. Dieses teilt das Führungsverhalten in vier Kategorien ein: die Aufgaben-, die Beziehungs-, die Veränderungs- und die Außenorientierung. Die Aufgabenorientierung beschreibt, wie und auf welche Weise Führungskräfte für die Erledigung der Aufgaben sorgen und den Arbeitsprozess kontrollieren. Die zweite Kategorie umfasst das Verhältnis der Führungskräfte zu Angestellten: Geben Chefs ihren Mitarbeitern Feedback zu ihrer Arbeit? Fühlen sie sich für diese verantwortlich? Sorgen sie für deren Weiterentwicklung? Mithilfe der dritten Kategorie wird erfasst, wie Führungskräfte Veränderungen initiieren oder moderieren, wenn sich Arbeitsabläufe wandeln, etwa im Zuge der Digitalisierung oder durch neue gesetzliche oder verwaltungsinterne Vorgaben. Mit der Außenorientierung wiederum wird die Fähigkeit und Bereitschaft der Führungskräfte beschrieben, über die eigene Organisationseinheit hinaus und beispielsweise im Netzwerk der gesamten Institution oder gar noch weiter zu denken. Interessiert sich ein Chef nur für seinen Bereich oder behält er auch das „große Ganze“ im Auge? Und wie repräsentiert er seinen Bereich nach außen? Mit Blick auf die Besonderheiten öffentlicher Verwaltungen entwickelte Dominik Vogel für seine Untersuchung zwei weitere Kategorien: die Ethik- und die Sachbearbeitungsorientierung. Erstere fokussiert darauf, wie Führungskräfte sich für ethische Standards einsetzen und auf deren Einhaltung achten. Angesichts ihrer normativen gesellschaftlichen Rolle sei diese Kategorie für öffentliche Verwaltungen besonders wichtig, betont der Forscher. Die zweite eigens entworfene Kategorie zielt auf eine Doppelrolle ab, die gerade Führungskräfte im öffentlichen Dienst häufig einnehmen: So sind sie einerseits mit Führungsaufgaben betraut, andererseits aber auch Fachexperten in dem Gebiet, das sie verantworten. Dadurch führen sie ihre Mitarbeiter nicht nur als Chef, sondern leiten sie zugleich fachlich an – eine Doppelfunktion, die in der Privatwirtschaft überwiegend abgelehnt wird.

Ergänzend ging Dominik Vogel der Frage nach, welche Faktoren das Verhalten von Führungskräften in der Verwaltung beeinflussen. Wie wirken sich beispielsweise Charakteristika der Chefs – wie Alter, Geschlecht usw. – aus? Wie ihre Motivation, also ihr Interesse zu führen? Welche Rolle spielen Erwartungen, die an sie hinsichtlich ihres Führungsverhaltens gestellt werden – und zwar sowohl von Mitarbeitern als auch von höheren Leitungsebenen? Und lässt sich Führungsverhalten verbessern, etwa durch Managementinstrumente?

Dabei sei es nicht das Ziel seiner Untersuchung gewesen, die Führungsqualitäten, egal ob Einzelner oder der „öffentlichen Hand“ in Gänze, zu bewerten, betont Dominik Vogel. „Was gut und was schlecht ist – diese Bewertung habe ich bewusst außen vor gelassen. Mir ging es darum, einen Überblick zu bekommen, welche Dimensionen im Führungsverhalten in der Verwaltung besonders ausgeprägt sind und welche vielleicht nicht.“

Aber wie wird denn nun eigentlich geführt in öffentlichen Verwaltungen? „Das kommt darauf an, ob man die Führungskräfte oder die Mitarbeiter fragt“, sagt Vogel schmunzelnd. Denn gerade zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung klaffe eine bemerkenswert große Lücke. „Diese Differenz ist überraschend groß, zwischen 7 und 25 Prozent. Größer als etwa in der Privatwirtschaft, wo es in der Regel nur 3 bis 5 Prozent sind.“ Die größte Diskrepanz beim Selbst- und Fremdbild bestehe in der Kategorie der Beziehungsorientierung, also gerade beim Verhältnis zwischen Chefs und Mitarbeitern. Das bedeute zwar nicht, dass die Beschäftigten ihren Führungskräften in diesem Bereich Inaktivität attestieren oder gar schlechte Noten ausstellen würden. Aber ein Achtungszeichen sei es allemal. Grundsätzlich fiel das Urteil der Angestellten mit Blick auf die einzelnen Kategorien durchschnittlich aus. „Den Mitarbeitern zufolge ist das Führungsverhalten mittelmäßig intensiv, wobei es kaum Unterschiede zwischen den einzelnen Bereichen gibt“, sagt Dominik Vogel. „Einzig die Veränderungsorientierung fällt ab.“

Die Führungskräfte wiederum gaben an, ihr Hauptaugenmerk auf – besagte – Beziehungs- sowie die Ethikorientierung zu richten. Zudem bestätigten sie das unterdurchschnittliche Interesse an der Veränderungsorientierung. „Man kann sagen: In der Verwaltung tut man sich schwer mit Veränderungen“, so der Wissenschaftler. „Man könnte aber auch sagen: Solche Aspekte werden überwiegend als Aufgabe höherer Leitungsebenen betrachtet.“

Eher enttäuschend sei der Blick auf die Einflussfaktoren gewesen: Die Annahme, Führungsverhalten lasse sich mithilfe strategischer Managementinstrumente intensivieren, ließ sich nicht bestätigen. Es zeigt sich aber, dass Führungskräfte, die moderne Managementinstrumente wie Qualitätsmanagement oder Zielsteuerung nutzen, auch ein intensiveres Führungsverhalten an den Tag legen. Persönliche Charakteristika spielten, mit Ausnahme der Freude an einer Führungstätigkeit, kaum eine nachweisbare Rolle. Immerhin würden Führungskräfte ihrer Rolle mehr Aufmerksamkeit schenken, wenn es von ihnen erwartet – und das auch beispielsweise bei der Einstellung kommuniziert – wird.

Grundsätzlich habe ihn das Ergebnis aber positiv überrascht, betont Dominik Vogel. „Das hatte ich ehrlicherweise schlimmer erwartet. Die Institutionen übrigens auch“, sagt er lachend. Die Ergebnisse, die er Führungsgremien der drei Institutionen vorgestellt hat, stießen auf großes Interesse. Dass sie indes auch Anlass werden können, dem Führungsverhalten in öffentlichen Verwaltungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, da ist er nicht sehr optimistisch, obwohl er es gerne sähe, wenn seine Forschung auch praktisch genutzt wird: „Ich finde, Public Management Forschung sollte anwendungsorientiert sein. Natürlich sagen wir nicht: ‚Ihr macht alles falsch und wir wissen alles besser.‘ Aber die Erkenntnisse ließen sich ja nutzen, um die Prozesse zu verbessern. So könnten beispielsweise Führungsfeedbackgespräche dazu dienen, besagte Lücke zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung zu schließen.“

Für ihn als Wissenschaftler ist die Untersuchung, sein Dissertationsprojekt, indes erst der Anfang: „Mir hat es gezeigt, dass ein so breiter Ansatz, das Führungsverhalten zu beschreiben, den Alltag und die Prozesse in öffentlichen Verwaltungen am besten erfasst. Und wir fangen ja gerade erst an, das Feld zu entdecken.“

Auf Universitäten – immerhin ja auch Arbeitgeber öffentlicher Hand – seien die Ergebnisse übrigens nur sehr bedingt übertragbar, erklärt Dominik Vogel. „Parallelen gibt es in den Verwaltungsbereichen. Aber für die Institute und Professuren gilt dies weniger, da sie anders strukturiert sind, autonomer agieren.“ Das bedeute aber nicht, dass sich ein Blick auf das Führungsverhalten in den wissenschaftlichen Strukturen an Universitäten nicht ebenso lohnen würde. „Führung ist auch für Professoren ein Thema, etwa mit Blick auf die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Und dabei könnte man sie sicher unterstützen.“

Matthias Zimmermann

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